Rolf an Martin

Diese Passage erinnert mich sehr an das Memoir von Richard Hoggart, dem Begründer des CCCS, an den Frauenhaushalt, in dem er aufgewachsen ist, und in dem auch ich groß geworden bin. Und sie erinnert mich an Hoggarts fast schon zorniger Erwiderung auf den häufig vorgetragenen Anwurf, er habe eine nostalgische Weltsicht: „Some intellectuals“, so Hoggart, „find it hard to take praise of good feeling, the celebration of where some people have got things emotionally right – and that when they meet this almost instinctively reach for the label ‚sentimental’“.  Martin und ich war nicht nur im herkömmlichen Sinne befreundet, wir hatten auch viel in common, und dazu gehörte nicht zuletzt die Erfahrung, in einem Frauenhaushalt groß geworden zu sein. Wir waren, um es einmal betont altmodisch auszudrücken, „seelenverwandt“ und wir hatten eine gemeinsame Seelenlandschaft, das Ruhrgebiet, die Landschaft der Schwerindustrie und des Bergbaus. Was uns daran anzog, war wohl nicht zuletzt die Haltung der Menschen, ihr Ethos, wie ich es einmal ein wenig großspurig  genannt habe, nämlich kein Gedöns von sich zu machen, nicht rumzutönen, wie gesagt wird, sich aufspielen, wie es im Thesaurus heißt, sich aufplustern und sich wie der große Zampano aufzuführen. Es war eine Welt, und man muss heute wohl in der Vergangenheitsform sprechen, in der zählte, was man tat, nicht was man sagte. Das hatte natürlich seine eigenen ideologischen Fallstricke, die exemplarisch im Direktor zur Geltung kamen, der deswegen von der Belegschaft geschätzt wurde, weil er zupacken konnte.

Martin war alles andere als ein Töner, was ihn in unserer Selbstdarstellungsgesellschaft wohl das eine oder andere Mal um die verdiente Anerkennung brachte. Wer, außer seinen Freunden, wusste schon, welch exzellenter Berlin-Kenner Martin war? Martin hat sein Wissen gerne geteilt, zum Beispiel mit mir, der ich manchmal fassungslos  dastand, wenn er sein Füllhorn  über mich ausschüttete. Martin war freigiebig und auch das hatte er mit dem alten Ruhrgebietsethos gemein.  Helfen wir mit, dass er seine Anerkennung auch in der Öffentlichkeit findet.

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