Tribute from Bernhard Sallmann
Lieber Martin,
über Johann Gottfried Seume haben wir kaum gesprochen. Das Gehen war uns zu selbstverständlich als Form eines umfassenden Unterwegsseins, als dass wir ihn im Ausschreiten oder danach im Einkehren hätten nennen müssen. Aber jetzt, für alle, ein Nachtrag. Seume, der von Leipzig nach Syrakus lief und über Paris zurückkam, voll des Lobes für seinen Schuster, schreibt in „Mein Sommer 1805“: „Wer geht, sieht im Durchschnitt anthropologisch und kosmisch mehr, als wer fährt. … Wo alles zu viel fährt, geht alles sehr schlecht, man sehe sich nur um! Sowie man im Wagen sitzt, hat man sich sogleich einige Grade von der ursprünglichen Humanität entfernt. Man kann niemand mehr fest und rein ins Angesicht sehen, wie man soll …. Fahren zeigt Ohnmacht, Gehen Kraft.“
Martin, Dein festes Schuhwerk, dein fester, zurückhaltender, aber auch manchmal schwingender, ja beschwingter Gang. Die Orte haben sich Dir aufgeschlossen, Du hast das Vermögen weiterzugehen wo eine Grenze sein könnte.
Martin, du bist ein „Wanderer“, mehr ein Stadt- als ein Landschaftswanderer. Du bist nicht einmal aufs Fahrrad gestiegen. Du und motorisiert fahrend – undenkbar! Mit Dir konnte ich im vertrauten Berlin unterwegs sein und es anders sehen. Jeder Durchgang, jeder Hinterhof, jede Brache, jede Fassade, jeder Friedhof, jedes Ornament, jedes verblichene Schild, jede Kneipe – es hatte Wert für Dich. Es hat Dir Vergnügen bereitet.
Wir haben uns gefragt wie viele Pferde nach dem Zweiten Krieg in Berlin unterwegs waren. Wo sie standen und wo sie ihr Futter bezogen. Wann sind die Pferde verschwunden aus dem Stadtbild?
Du hast dir, ehe Du in Rixdorf in die Schöneweiderstr. eingezogen bist, zu meinem Erstaunen den Keller zeigen lassen. Du hast Dir vorgestellt welche Menschen während der Bombennächte dort kauerten.
Bei Dir ist der Pol, der ins Vergangene reicht, sehr stark ausgeprägt.
Du bist ein sehr höflicher Mensch. Zuhörend, akzeptierend. Aber mit sehr festen Prinzipien: „Friede den Hütten!“ Das neue Berlin sieht das anders. Du bist ein Hüttenbewohner, ich bin es auch. Da haben wir ähnliche Standpunkte.
Wir werden uns weiter austauschen, lieber Martin!
Bernhard
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